Baumleberliebe

Baumleberliebe von Sophie Reyer
Ein Theaterpoem mit imaginären "Bühnenbildern" von Harald Häuser
ein on-line "Theaterbesuch"
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Handelnde Personen:                                                                                           BIOMACHTTHEATER   

Daphy
Sohn Fawn
Vater Penei  
Mutter Medy
Neue Leber  
Remote-Control (Empfängerin)  
Dogge  
Vogelmottenchor

Die Motten sollen im Laufe des Stückes immer weniger werden und ihre Gesichter ausgezehrter, ihre Farben bleicher. So sollen auch die Familienmitglieder mit jeder Szene mehr und mehr in sich selbst hinein zusammen fallen.

1. Szene
Daphy, Vater Penei, Mutter Medy und Sohn Fawn sitzen bei Tisch. Eine ärmlich eingerichtet enge Wohnung mit Fertigteilmöbeln und schimmeligen Wänden. Daphy stochert lustlos in ihrem Essen rum und guckt aus dem Fenster. Beobachtet die Eiche. Überlebensgroße Motten mit bunten Pulswärmern und spitzen Vampirzähnen fliegen hin und her. Remote-Control (Empfängerin), eine wasserstoffblonde anorektische Frau mit Ärztekittel betritt die Bühne. Ihre Nase sieht verhunzelt aus, was auf eine Schönheits- OP hinweist. Ihre Brüste sind riesig, die Taille jünglingsschmal. Ihre Haut solariumbraun. Sie trägt eine rechteckige Brille, die versucht, die Unintellektualität ihres Gesichtes und ihrer gesamten Erscheinung zu kaschieren. Eine Dogge mit silbernem Stachelhalsband begleitet die Remote-Control (Empfängerin).  

Ölkatastrophe

Vogelmottenchor: Was ist das.

Remote-Control (Empfängerin): Öl. Es fließt aus den Pipelines raus und verpickt dir die Flügel.  

Vogelmottenchor: Und wir.  

Remote-Control (Empfängerin): Du bist Masse.  

Vogelmottenchor: Bist du sicher. Wir dachten, wir wären doch Motten.  
Wären Mottenchor.  
Oder.

Remote-Control (Empfängerin): Verklebter Kropf.  

Vogelmottenchor: Ich kann dich nicht hören.  

Remote-Control (Empfängerin): Du stehst zu dicht.  

Vogelmottenchor: Ich.  
Wie oft ich.  
Wir sind ein Mehr an Motten.  
Oder.
Von woher rufst du nach uns.  

Sohn Fawn zieht ein Notizbüchlein aus der Tasche und schreibt. Beobachtet dabei die Motten.

Remote-Control (Empfängerin): Aus dem Krisengebiet.  

Vogelmottenchor: Das ist auch so ein Wort, nein.
Wie Motte.  
Wir sind Mottenchor.  
Oder.
Was ist dieses Knistern. Du trägst einen Schleier.  

Mutter Medei schlägt eine Motte tot und kickt sie weg.

Remote-Control (Empfängerin): Ein Rauschen trag ich.

Vogelmottenchor: Rutsch rüber. Ruckel mal.  

Remote-Control (Empfängerin): Das geht nicht. Ich bin hinter der Box.  

Vogelmottenchor: Von wegen.  

Remote-Control (Empfängerin): Man nennt mich Remote-Control. Oder auch: Empfängerin. Ich bin ein Medium der Queen of the Biomacht. Der Macht, die alles durchdringt. Sich durch alle Bereiche zieht. Und so auf dich wirkt. Ohne, dass du es merkst, Masse. Weißt.  

Vogelmottenchor: Versteh nicht. Und du.  

Remote-Control (Empfängerin): Du kannst an mir drehn. Stets zu Diensten. Ich bin alles in einem: Frau, Ärztin, Intellektuelle, Porno- Babe.  

Dogge: Und ich bin die Berichterstattung. Ich diene. Der Maschine. Der Queen.  

Vogelmottenchor: Woher kommst du.  

Remote-Control (Empfängerin): Ich bin die Waffe des Informationszufluss´.  

Vogelmottenchor: Verstehn wir nicht.
Oder.   

Papa Penei nimmt Sohn Fawn das Notizbuch weg und deutet ihm, dass er essen soll.

Remote-Control (Empfängerin): Ich raschel räusper dir die Wahrheiten ein. Bin die Fähigkeit zur Kriegskatastrophe.  

Vogelmottenchor: Und wenn du nicht mehr sprichst.  

Pause.

Hörst du uns.  
Mottenmund Zwitschermund.  
Hörst uns.
Oder.

Pause.

Remote-Control (Empfängerin): Wenn ich nicht mehr spreche.  
Ist die totale Auslöschung eingetreten.  

Vogelmottenchor: Verstehen wir nicht.  

Remote-Control (Empfängerin): Du bist in der Katastrophe, Masse. Das geht so:

Drückt auf eine Fernbedienung. Tochter Daphy, Vater Penei, Sohn Fawn und Mutter Medy erwachen zum Leben. Remote-Control (Empfängerin) und Dogge ab.


Daheim

Daphy: Schöner Baum.  

Vater Penei: Was träumst denn schon wieder.  
Zur Mutter Medy Mager ist sie. Aber immer noch hübsch.  
Nicht.
Das Vögelchen.  

Daphy: Baum. Bausch. Traurig.  

Mutter Medy: Stocher nicht so komisch im Essen rum.  
Solltest froh sein, dass genug für alle da ist.  
Chips und Eier.  
Nein.
Das wird sich ändern.  
Härter werden die Zeiten.  
Nein.

Sohn Fawn: Sag ich auch.  
Die Blätter der Bäume fallen von den Zweigen.
Die Körper der toten Vögel auf dem Asphalt der Straße.  
Wenn du die öffnest, sind die inneren Organe zermantscht.  
Sind nur noch Bündel aus Blut.  
Wer tut so was.  
Wenn ein Krieg kommt, sind keine Tiere mehr da, die wir grillen könnten.  
Versteht ihr.  
Verarscht werden wir.  

Vater Penei über Fawn: Was weiß der schon über Arbeit.  

Mutter Medy: Ich hab keine Ahnung von Politik.  

Sohn Fawn: Modern day Cruzifiction.  

Vater Penei: Und ich bin immer noch der Vater, der das Geld heim bringt.  
Nein.

Mutter: Ja. Penei.  

Sohn Fawn: Modern day Cruzifiction.  
Wisst ihr, was das heißt.  
Sie nageln die Körper der Armen an Bäume.  
Arme und Beine.  

Daphy: Gebeine. Steine. Keine.  

Mutter Medy: Sie sieht blass aus.  

Daphy: Blass. Vater. Nass.  

Sohn Fawn: Daphy ist immer so weiß, Mutter.  
Weißt.

Vater Penei: Eine bleiche ferne Schönheit.   
zum Sohn Fawn: Lass uns Fußball spielen.  
Nach dem Essen.
Nicht.

Sohn Fawn: Vergiss es.  

Will nach dem Notizbuch greifen. Vater Penei gibt es ihm nicht.

Vater Penei: Ich bin schon ein Optimist.  

Mutter Medy zur Daphy: Iss Butter.  
Bitte.

Vater Penei: Schau sie an, wenn sie mit dir spricht.  

Daphy: Ich.

Mutter Medy unterbricht sie: Du musst essen.  
Nicht sprechen.  

Sohn Fawn: Karzinome. Soft kills. Modern day Cruzifiction.  
Keine Vögel mehr zum Grillen da.  
Nicht mal genug Bäume, die wir abhacken können, um es uns warm zu machen.

Mutter Medy: Ich bin eine Frau, ich versteh nichts davon.  
Oder. Wo kommen die Motten her.  

Vater Penei: Hast keine Ahnung von harter Arbeit, Sohn Fawn.  
Hältst besser die Klappe.  
Wenn wir hier Krieg haben nach der Krise.  
Ist es am Besten, klein zu sein.  
Klitzeklein.

Daphy: Fein. Reim. Kein.  

Mutter Medy: Wie schlau ihr euch unterhalten könnt.  
Zur Daphy Nicht.  

Daphy: Nein.  

Vater Penei die Daphy ignorierend: Ja.  

Sohn Fawn: Sie ist auf meiner Seite. Wir leben in Zeiten des vorgespielten Terrorismus.  

Vater Penei: Kümmere dich um deinen Scheiß.  
Gib mir ein Küsschen, Vögelchen.  
Ich hab dich lieb.  

Daphy zum Vater Penei, ihm einen Schmatz an die Wange drückend: Lieb. Leier. Reiern.  

Mutter Medy zur Daphy: Du frierst.  
Die Heizung ist eingegangen.  

Sohn Fawn: Den Vögeln hat es die inneren Organe zerfetzt.  
War das ein Magnetfeld.  

Daphy: Organe. Orange.  

Pause.

Vater Penei zum Sohn Fawn: Du tu mal was andres.
Pack an mit deinen schaumigen Klauen.  
Die Heizung ist eingegangen, scheint es.  
Nein.
Also hack ein wenig Baumholz klein fürs Feuer.  
Das knistert so schön und warm gegen den Hunger.  
Die Flamme flackert gegen das müde Herz.  
Weißt.

Daphy: Nein.  
Nicht die Eiche.  

Sie greift nach einer Nadel, während der Vater Penei die Hacke sucht, und beginnt, an den Nagelbetten rumzukauen.

Sohn Fawn: Was tust du da.  

Daphy: Ich kletzle mir ein wenig Fleisch von den Nagelbetten. Das schmeckt lecker.  

zu sich selbst:

Nadel. Gabel. Klage.  

Sohn Fawn: Warum.  

Daphy: Schau, ich zeig dir die wunde Stelle an meinem Finger.  

Murmelnd:

Finger. Inner. Schlimmer.  

Sohn Fawn: Warum du das machst.  

Daphy: Einen äußeren Schmerz gegen einen inneren tauschen.  
Außen vergehts. Innen rauscht es in Wellen. So ab und an.  
Auch die Verzweiflung nichts als eine kontinuierliche Bewegung.  

Sohn Fawn: Ich bringe dir das Rauschen des Meeres.  
Wenn du traurig bist.  
Eine Muschel für jedes Ohr.  
Ich bringe dir die Schönheit der Artischocke.  

Daphy: Nein.  

Fawn: Du möchtest, dass es regnet. Ich hol einen Pinsel und mal Tropfen aus den Wolken des Himmels. Kleine Spritzer.  

Daphy: Kleine. Allein. Keiner.  

Fawn: Wünschst dir Sonne am Balkon. Ich lasse meine Haut rot werden. Aufspringen. Ziehe mir die Blattern  von den Schulterblättern.  

Kurze Pause. Daphy hält für einen Moment inne, dann beißt sie genüsslich weiter.
 
Sohn Fawn: Auf den Rhythmus deines Schmerzes kannst du dich verlassen.  
Ist es das.

Daphy flüstert, so dass nur Fawn es hören kann: Der Papa ist Fleisch.  
Leibchen. Speibchen.   

Vater Penei: Hast du mich lieb. Dann sei ein braves Kind und hör zum Knabbern auf.  

Daphy: Brich der Eiche nicht das Rückgrat.  

Vater Penei: Tut mir leid, mein Bleiches. Wir brauchen Brennholz aus Borke.  

Daphy: Warum. Dumm.  

Vater Penei: Wenn die ersten Bomben fallen, macht die Eiche von alleine schlapp.  

Daphy: Schneidet einfach mich in Scheiben.  

Vater Penei nimmt sie an der Hand: Schöne Scheiben wären das.  
Lacht. Lass das mit dem Kletzeln bleiben.  

Daphy: Scheiben. Reiben. Scheißfleisch.  

Mutter Medy: Hast so eine helle Marmorhaut.  

Remote-Control (Empfängerin) und Dogge treten auf.

Remote-Control (Empfängerin): EVER forever. Ich bin Remote-Control. Nehme alle in Empfang, die etwas verändern wollen. Also: Be a treegirl. Ich habe ihnen ein wunderbares Angebot zu machen.  

Vater Penei: Ach was.  

Remote-Control (Empfängerin): Meine Hautweg- und Rindenschichtspritze verwandelt sie unter Garantie in einen gertenschlanken Baum wie nie. Und damit nicht genug. Denn: Ever kann noch mehr. Sie werden damit rasch zu einer prominenten Figur des High-Society- Lebens. Nicht nur helfen sie durch ihre Mitarbeit der Forschung, sie tragen auch zu Wirtschaftswachstum und Verbreitung von Wohlstand bei. Denn: Je mehr Bäume, desto besser ist die Luft.  
Ich sage also nur: EVER forever. And ever. And ever. Become a tree and you will be forever. And ever. And ever.  

Mutter Medy: Das stand in der Kleinanzeige:  
Wer will ein Baum werden.  
Freiwillige voraus.  
Ins Krankenhaus.  

Remote-Control (Empfängerin): Ganz genau. Haut weg und Borke her. EVER und mehr.  

Daphy: Mehr. Wehr.  

Mutter Medy: Sag nicht, du willst dahin, Kind. Zum Vater Penei: Die Kälte wäre doch nicht so schlimm.  

Daphy: Wir brauchen Brennholz.  
So kann ich dann friedlich in einer Ecke stehen. Bin nichts als schön. Und tut mir nimmer selber weh mit dem Nagelgekletzel. Verstehst du.  

Mutter Medei: Hin und wieder hilft sie uns mit Brennholz aus.  
Und wir hätten ein warmes Haus.  

Daphy: Die Eiche bleibt.  
zu sich selbst: Eiche. Bleibe. Liebe.  

Sohn Fawn: Es ging dir so gut, kleine Schwester.  
Das Rauschen des ganzen Meeres findest in einer Muschel.  
Weißt du noch.  

Daphy: Ein Baum hat keinen Hunger.  
Einen Baum kannst nicht ficken, der knickt nur.  

Mutter Medei: Was.  

Daphy: Und die Luft ist dann besser.  
Oder.

Remote-Control (Empfängerin):
Ja.  
Hab ichs nicht gesagt.  
Haut weg und Blätterhaar her.  
Für all jene, die sich bisher im falschen Körper gefühlt haben.  
EVER kann mehr als sie denken, meine Damen und Herren.  
Ich sage nur: Her mit EVER. Become a tree and you will be forever. And ever. And ever.

Sohn Fawn: Wie das Meer in der Muschel rauscht.  
Kein Grund, dich aufzugeben.  

Daphy: Geben. Kerbe. Gern.  

Pause. Dann, laut:

Ich gehe.  

Sohn Fawn: Willst nicht leben.  

Daphy: Doch. Aber: Selbstbestimmt. Will die Körperform annehmen, in der ich mich richtig fühle. Und irgendwo muss die Wärme herkommen. Und die gute Luft. Oder.

Mutter Medy zum Sohn Fawn:
Ich hab dich lieb.  

Will ihn küssen. Fawn drückt sie weg.

Sohn Fawn: Nicht.  

Mutter Medy: So schlau bist du.  
Schau dich gerne an gegen die Verzweiflung.

Vater Penei: Als Baum ist sie immer bei uns da. Und wäre nicht nur schön. Könnte uns auch ihr Holz schenken.  

Sohn Fawn: In der Schule lernt sie leicht.

Vater Penei: Das ist für nix und lässt sich nicht mit den Händen angreifen.  
Ich arbeite hart.   

Remote-Control (Empfängerin): EVER forever. Und nie wird sie tot sein. Denn das Wurzelwerk erneuert sich ganz von selbst.  

Daphy: Und dann wachsen mir auch meine Augen zu.  
Endlich Dunkel und Ruhe.  

Remote-Control (Empfängerin): Wovon du ausgehen kannst.  

Fawn: Hast keine Angst  

Daphy: Angst. After. Anal. Egal.  

Laut: Ab. Nehmt mich mit.  

Eine kurze Pause.

Mutter Medy: Was passiert denn im Krankenhaus mit ihr.

Remote-Control (Empfängerin) zu Daphy: Wir nehmen dich in Empfang da. Und füllen dich auf mit EVER 1 und 2. Das geht so: Ein paar Spritzen in die Haut. Es lebe die Genmanipulation.  

Mutter Medy: Machen die Nadeln harte Stiche.  

Daphy: Nicht wirklich. Und ich bin stark.  

Mutter Medy: Ich weiß nicht.  

Mutter Medy nimmt den Vater Penei an der Hand.

Daphy: Stark. Autark. Fawn.  
zum Bruder: Ich schreibe dir, solang meine Finger noch keine Äste sind.  
Versprochen.

Sohn Fawn: Vergiss nicht, wie das Meer in der Muschel rasselt.  

Daphy: Ich hab dich lieb.  

Remote-Control (Empfängerin) führt sie ab.


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