9 - Baumleberliebe

Baumleberliebe von Sophie Reyer
Ein Theaterpoem mit imaginären "Bühnenbildern" von Harald Häuser
ein on-line "Theaterbesuch"
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9. Szene

Auslöschung

Remote-Control (Empfängerin), Dogge: 4. Schritt: Auslöschung.  
Du hast Angst. Atemenge.  
Du hast Angst. Haste. Hemmung.  
Du hast Angst. Schlucklähmung.  
Du hast Angst. Schulterkrampf.  
Du hast Angst. Kampf am Klaffafter.  

Dogge: Tod durch Ersticken.  
Der Masse. Im Öl.  
Das ist ein Ölspiel.  

Vogelmottenchor/ Daphy: Kommt rüber.  

Dogge: Das geht nicht.  

Vogelmottenchor/ Daphy: Warum nicht.  

Remote-Control (Empfängerin), Dogge: Wir sind schon.  

Vogelmottenchor/ Daphy: Und wir.  
Wo sind wir.  
So dunkel, Mottenchor.  
Oder.

Remote-Control (Empfängerin): Die körpergewordene Katastrophe.  

Dogge: Die Wirkung rennt der Ursache voraus.  

Remote-Control (Empfängerin): Gatschige Flügel.  

Dogge: Zittrige Körper in einer Soße aus Matsch.  

Vogelmottenchor/ Daphy: Können dich nicht hören jetzt.  
Sagen wir.  
Flatterkinder.

Remote-Control (Empfängerin), Dogge: Du hast Bauchweh. Bulimie.  
Du hast Darmverschluss. Nahrungsmittelzusatzstoff.  
Du hast Krebs. Hard Kills.  
Du bist Karzinom. Gespaltenes Atom.  
Du bist Busenwunder. Oben ohne. Opium.  
Du hast keine Liebe. Lithium.  
Du bist voll mit Furcht. On TV. Folter.  
Wirst blind im Container. Cruzifiction.  
Hast Hybride Anorexie. Adipositas. ADHS Syndrom never rests.
Du bist immer nur im Öl.  
Masse im Öl.  

Vogelmottenchor/ Daphy: Das Rauschen.  

Dogge: Es gibt dich nicht mehr.  

Remote-Control (Empfängerin): Kommst auf Google nicht vor.

Dogge: Der natürliche Filter des Sozialdarwinismus, Baby. Es regnet jetzt Vogelmottenleichen. Weißt.

Remote-Control (Empfängerin), Dogge: Wir hocken dir in den Eingeweiden. Radieren dir die inneren Organe aus.  

Vogelmottenchor/ Dayph: Aus.  

Remote-Control (Empfängerin): Sendepause.  

(Drückt auf die Fernbedienung.)


Muttersterben

Daphy: Hört ihr mich.  
Motten, wo wart ihr noch gleich.  
Hört ihr.

Die Motten ersticken langsam und gleiten zu Boden. Sohn Fawn nimmt den toten Leichnam von Daphy herunter.

Daphy: Ich bin die Fähigkeit des Lebens als Reality- Show.  
Anstrengend ists, das Gewicht der Äste zu halten.  
Das Rückgrat knickt mir immer mehr. Jeden Tag.   
Zu Fawn: Schnibbel mir was von dem Holz weg.  
Bitte.
Dass ich dir wieder Briefe schreiben kann.  
Wie damals.  

Sohn Fawn schneidet an ihren Ästen herum.

Mutter Medy: Hat sie was gesagt.  

Sohn Fawn: Du kannst es nicht hören.  

Mutter Medy: Ich weiß nicht.  
  
Sohn Fawn nimmt Neue Leber vom Baum. Der Leichnam erinnert ein wenig an einen Comic- Jesus.

  
Sohn Fawn: Ich dachte, ich wär deine einzige Liebe,  

Daphy: Wie meinst.  

Sohn Fawn: Du weißt, was ich sag.  

Daphy: Bitte. Begrab sie.  

Sohn Fawn: Diese Leberlesbe.  

Daphy: Was wünschst dir am meisten.  

Sohn Fawn: Deine Liebe.
Nein: Dich als Papier.  

Daphy: Meinst du wirklich.  

Sohn Fawn: Sicher bin ich mir.  

Daphy: Dann bring ihren Körper hier weg.  

Sohn Fawn: Ich weiß nicht.  

Daphy: Danach: Beschreib mich.  
Dann bin ich für immer dein Brief.  

Pause. Sohn Fawn scheint zu überlegen. Dann:

Sohn Fawn: Ich begrab sie am Meer bei den Muscheln, kleine Schwester. Da hat sie das Rauschen dann direkt am Trommelfell.  

Daphy lächelt ein wenig. Knarzklänge. Sohn verlässt die Wohnung. Mutter Medy klaubt ein paar Motten auf und wirft die toten Leiber aus dem Fenster.

Mutter Medy: Wüsste ich, was deine Blätter rascheln.  
Warst immer so weit weg, Daphy.  
Bleich und weiß.  
Die Augen aufgeklappt in dein Inneres hinein.  

Daphy: Mutter. Butter. Gut.  

Mutter Medy: Bitte.  
Sprich.

Mutter gräbt ihre Füße in der Erde neben der Tochter ein.

Daphy: Ich bins.  

Mutter lächelt.

Mutter Medy: Hab dich lieb.  

Daphy: Der Papa. Der hat mich.  
Genagelt. I want to hammer you, hat er immer gesagt.  

Mutter Medy: Was.  

Pause.

Gefickt hat er dich.  
Wo ist der Strick.  
Ich.

Sie nimmt einen Strick und klettert auf den Baum.

Daphy: Nein, Mama.
Gemeint hat ers doch nicht böse.  
Du fällst von hier oben nur einmal.  

Mutter Medy: Es säuselt in deinen Kronen.  
Hätte ich Ohren, die das Knistern deines Laubes hören können.  
Hätte ich ein Hirn, dich zu verstehen.  
Aber es geht nicht.  
Ich.  

Daphy: Nicht.  

Mutter Medy springt. Daphy hält sie mit einem Ast fest.

Mutter Medy: Lass den Ast.  

Daphy: Hab dich lieb.  

Mutter Medy: Ich will fallen.  
Alles besser dann.  

Daphy: Besser. Butter. Mutter.  

Mutter Medy: Bitte.  

Daphy: Ich kann nicht.  

Mutter Medy: Ich bin dann nur nicht mehr.  
Hab du keine Angst.  

Daphy schließt die Augen. Lässt ihre Mutter los. Zuckt noch ein paar Mal auf. Ist dann tot.

Daphy: I am a treegirl.  
Ich hab einen Tumor, der wuchert mir raus. Aus den Händen. Den Füßen. Ist härter als Haar.  
Wann werden mir endlich die Augen zuwachsen.

Pause.

Augen. Außen. Aus.  

Sohn Fawn sieht die Mutter Medy hängen. Holt sie vom Baum herunter. Lange Pause.
Sohn Fawn: Ich hab einen vertrockneten Mund.

Daphy: Die gefährliche Stelle zwischen meinen Schulterblättern. Bald wird sie knicken. Bald brech ich ab.

Sohn Fawn: Lass mich allein jetzt.

Daphy legt liebevoll einen Ast um: Das geht nicht.
Ich kann doch nicht gehen.

Bruder weint. Daphy legt tröstend die Äste um ihn.

Ich bringe dir die Weisheit der Welt in einer Schildkröte. Aus Glas. Aus Papier,
Ich ziehe meine Flügel an, wenn wir liegen, fliegen wir.
Ich hasse die Sommer. Bring mir die Hitze, sagst du. Ich bring dir die Hitze und meine Handgelenke knicken.
Ich bringe dir den Morgengruß der Vögel, die noch leben. Einmal, zweimal Eigenklang meiner Mundhöhle gegen deinen angestoßenen Ellbogen.
Du möchtest im Fluss schwimmen, ich ziehe mich nackig aus, es reißt mich mit, schleudert mich gegen einen Felsen, ich blute am Unterschenkel.
Ich bringe dir die Müdigkeit. Den Babyschlaf gegen dein Burnout, kleiner Bruder. Die Blase eines Säuglings, der lächelt, Und weiß nicht warum.

Pause. Sohn Fawn weint.

Daphy: Ich bringe dir eine Gutenachtgeschichte gegen die Globalisierung.

Sohn Fawn: Ich bringe dir eine Liebe gegen den Krieg.

Daphy: Ich geb dir den Mut zu Weinen zurück.
Ich weine.

Sie weinen beide.

Sohn Fawn: Ich bringe dir deine Kindheit zurück, kleine Schwester.
Ich bin wieder klein.

Sohn Fawn: Es ging dir so gut, kleine Schwester. Wir haben das Meer in der Muschel gehört.
Und jetzt.

Daphy: Mach Papier aus mir. Und schreib einen Brief an Papa.


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