5 - Baumleberliebe

Baumleberliebe von Sophie Reyer
Ein Theaterpoem mit imaginären "Bühnenbildern" von Harald Häuser
ein on-line "Theaterbesuch"
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5. Szene:

Daphys Verwandlung

Daphy liegt im Krankenzimmerbett und schläft. Die Motten flattern um sie herum. Dogge und Remote-Control (Empfängerin) verfolgen die Motten. Remote-Control (Empfängerin) hält eine Kamera in der Hand. Dogge hat ein Mikrophon in der Hand und spricht, die Sprechhaltung an einen Nachrichtenreporter angeglichen.
Remote-Control (Empfängerin): Zuerst sind die Tiere dran, dann die Unter- und Mittelschichten der Menschen. Der Garbage. Wir arbeiten uns also ab. Das geht so: Wie entledigt man sich einer großen Masse an Meerestieren, Korallen, Walen, Schildkröten, Vögeln, Menschen. Die eine Möglichkeit ist Angst. Die andere: Man befiehlt zum Beispiel einfachen Arbeitern, die Pipelines mit Schlamm abzuschließen anstatt mit Wasser und dass die Ölplattform dann explodiert daran werden nein daran dürfen die nicht denken die machen ja auch nur ihren Job.

Dogge: Katastrophe: Krabben in Öl. Tauben in Öl. Schleimsuppe. Pelikans Kropf verklebt. Das Zusammenpicken der Federn. Vieh mit gepanschtem Gefieder. Fische, die an der Seeoberfläche treiben. Schwimmendes schweres Silber. Wasser aus Silber im Golf. Literweise ins Meer reingegluckert. Die Lecks in den Pipelines. Die undichten Rohre. Werden immer undichter. Die Fischerei ist tot. So steht es geschrieben. Erzählen die Winde. Sie auf die Motte deutend wedelt im Klebrigen mit den Flügeln. In den Mangrovensümpfen schwappts jetzt grau und klebrig. Sie schaukelt im Schaum. Kann sich nicht mehr bewegen. Die Gefieder ihrer Freunde der Vögel. Sie krusten zu in der Mittagshitze. So verpickt sich auch sie.

Remote-Control (Empfängerin): Auch du, Masse.

Vogelmottenchor: Was.

Dogge: Sie verschwindet hinter einer Schicht aus Öl.

Remote-Control (Empfängerin): Nichts lebt hier was hier lebt stirbt in der dickflüssigen Suppe so stirbst auch du, Masse. Sorry.

Vogelmottenchor: Was heißt das.

Dogge: Heißt: Ende.

Vogelmottenchor: Und wir.
Die Mottenmünder.
Die Flatterkinder.
Wir.

Remote-Control (Empfängerin) und Dogge gehen mit ihren Riesenspritzen auf die Motten zu und drücken einer nach der anderen die Nadel in die Pulsaderngeflechte.

Remote-Control (Empfängerin): Du bist im Terror, Masse. Das geht so:

Sie setzt sich ans Bett und drückt auf die Fernbedienung. Daphy schreckt hoch.

Remote-Control (Empfängerin) die riesige Nadel im Rücken versteckend: So. Letzte Chance. Sie wollen also wirklich ein Baum werden.

Daphy: Eine Birke. Ja. Damit ich noch was nütze.

Remote-Control (Empfängerin): Nichts leichter als das.
Sind ohnehin zu viele Menschen auf der Welt, sag ich.
Die Ballungsräume platzen aus allen Nähten.
Ich sage nur: Zuviel Erdölverbrauch, Überfischung, Entwaldung.
Das Wasser reicht auch nicht für alle aus, sag ich.
Der Schadstoffausstoß ist kaum noch zu stoppen. Sorry.
Bald keine Flächen mehr da zum Häuserbauen. Wohin wir auch schauen.
Dagegen helfen nur Nägel. Oder auch: Modern Day Cruzifiction.
Dafür brauchen wir Bäume.
Müssen ja irgendwohin genagelt werden, diese Menschenmassen.
Sie verstehen.

Daphy: Ich versuche es.

Remote-Control (Empfängerin) legt die Spritze weg und kramt ein Messer aus der Tasche. Dogge grinst hämisch: Also sprechen Sie mir nach:  
Ich bin eine Fehlgeburt.
Das von jeher Verhinderte.
Im Keim ersticktes Fleischgeblüt.
Ich fehle.
Ich verfehle mich.

Daphy: Ich bin eine Fehlgeburt.
Das von jeher Verhinderte.
Im Keim ersticktes Fleischgeblüt.
Ich fehle.
Ich verfehle mich.

Remote-Control (Empfängerin) schnibbelt ein wenig an Daphys Händen herum.

Remote-Control (Empfängerin): Sie sind schnell. Also weiter:
Müde Handgelenke.
Die Nägel aus Borste.
Kreuzigt mich.
Von innen nach außen sind die Spitzen aus Schiefer meine neuen Adern.
Abgebrochene Finger. Abgebrochene Handrücken.
Ich verzehre.
Ich verfehle.
Ich bin eine Fehlgeburt.

Teile der Äste, die bereits an Daphys Händen gewachsen sind, fallen zu Boden.

Daphy: Ich verzehre.
Ich verfehle.
Ich bin eine Fehlgeburt.

Remote-Control (Empfängerin) greift nach der Spritze und füllt sie mit einer giftgrünen Substanz.

Remote-Control (Empfängerin): Ja.
Und weiter:
Ich bin Epidermodysplasia Verruciformis.

Daphy irritiert die Spritze betrachtend: Wie.

Remote-Control (Empfängerin): EVER 1 und 2.

Daphy: Wer.

Remote-Control (Empfängerin) in beruhigendem Tonfall, nimmt Daphys Hand und sticht zu: Also: EVER 1 und 2, das sind die Gene die wir nun mutieren.
Weiter:
Ich verfehle.
EVER 1 und 2 forever.

Sie drückt mehrere Liter der leuchtstiftfarbenen Substanz in Daphys Körper hinein.

Daphy: Ich verfehle.
EVER 1 und 2 forever.

Remote-Control (Empfängerin): Ich bin schlimmer als Trisomie 21.
Ich bin die vollendete Trisomie.
Ich bin das Baummädchen.
I am a treegirl, baby.
Bin die Fähigkeit zur Absurdität.
Bin EVER.
Ich verzerre.
Verzehre nicht mehr.
Ich verfehle.

Zieht die Spritze heraus und füllt sie wieder. Diesmal mit pinker Substanz.

Daphy: Ich verzerre.
Verzehre nicht mehr.
Ich verfehle.
Ich seh verheerend aus.

Remote-Control (Empfängerin): Das interessiert keinen, Kind.
Wichtiger ist:
So verheere ICH MICH.
Ich.
Verzerre.
Verzehre.
Verfehle.

Remote-Control (Empfängerin) zieht die Spritze aus Daphys Arm und reicht sie Dogge, die damit abwuselt. Sie deutet Daphy aufzustehen.

Daphy und Remote-Control (Empfängerin) im Chor:
So verheere ICH MICH.
Ich.
Verzerre.
Verzehre.
Verfehle.

Daphy schießt eine Blätterkrone aus dem Hirn.

Remote-Control (Empfängerin): Herzig, nicht.

Daphy: Das von jeher Verhinderte.
Das Nichtbeginnende. Bin ich.
Ich habe das Fehlen verinnerlicht.
Ich verheere mich.
Verzerrtes.
Verzehren.
Alle Versuche verfehlt.
Haut aus Borke.
Haut aus Horn.

Äste wachsen aus Daphys Körper heraus und in alle Richtungen.

Remote-Control (Empfängerin):
Sehr gut. Und weiter:
I am not happy.
I am a treegirl.
Ich habe keine Geschichte mehr. Ich komme in keinem Rahmen vor.
Das ist mein Drama.
Sie können mich downloaden.
Ich werde immer woanders sein.
Ich fehle.

Die Haut wuchert Daphy nach und nach ganz mit Rinde zu. Nur ihre Augen bleiben frei.

Daphy: Wächst mir jetzt auch Holz in die inneren Organe rein.

Remote-Control (Empfängerin): Keine Fragen. Konzentration auf unser Gedichtchen:
Dornen an den Handgelenken.
Ich bin ein verzweifelter Bast.
Sie finden mich auf Youtube. Also das, was noch von mir übrig ist.
Ich verzehre.
Verzerre.
I am a treegirl, baby.

Daphy: Ich verzehre.
Verzerre.
Ich weiß, ich seh verheerend aus.

Daphy und Remote-Control (Empfängerin) im Chor: I am a treegirl, baby.

Loop des Satzes ad Libitum. Dogge kommt und filmt Daphy. Die Motten schwirren verwirrt um sie herum. Daphys Körper riesig auf einer Leinwand. Remote-Control (Empfängerin) hält Daphy ein Mikro hin.

Daphy nun vollständig verwandelt: Ich hab jetzt eine knorrige Haut.  
Hör von außen, wie es mir nachraschelt bei jedem Schritt.
Das Wetzen der Sohlen aus Holz auf dem Fußboden.
Schuppenmonster.
Sie können mich googeln als Absurdität
I am a tree girl.
Mich hat es nie gegeben.
Ich bin Gegenstand.
Bin Randerscheinung.
Ich trag die Herzigkeit der Krüppel im Schuppengesicht.
Hab mich aufgegeben.
Ich bin eine Fehlgeburt.
Von jeher verzerrt.
Verruciformis.
Epidermodysplasia Verruciformis.
EVER 1 und 2.
Also das sind die Gene, die sie mir mutiert.
Rotbraune Flecken.
Grausige Rindenhaut.
Schauen sie, bin ein Schatten, der vor sich her baumelt.
Baummädl.
Wenn mir nur endlich die Augen zuwachsen, sage ich den Ärzten.
Die geben mir Spritzen gegen die Angst und Vitamin A.
Auf den Youtube-Videos kannst du mich googeln aber da ist nichts wahr.
Ich bin die Summe aller Karzinome.
Keiner denkt dran, mich zu schonen.
Früher innen.
Jetzt auch außen.
Aber schon immer.
Nicht Ich.  
I am a treegirl.

Während Daphys Monolog rollt die Remote-Control (Empfängerin) einen großen Topf herein, in den Daphy eingepflanzt werden soll.

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