2 - Baumleberliebe

Baumleberliebe von Sophie Reyer
Ein Theaterpoem mit imaginären "Bühnenbildern" von Harald Häuser
ein on-line "Theaterbesuch"
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2. Szene

Leberbegegnung (im Krankenhaus)

Neue Leber hockt im Krankenhausbett. Sie erinnert an ein veraltertes Rockergirl mit breiten Oberarmen und Tattoos. Ihr Gesicht ist von gelblich schimmerndem Weiß. Neuer Leber springt der Tod aus den Augen, den Mundwinkeln.

  
Neue Leber: Du wärst fast zu spät gekommen.

Daphy: Bitte.  

Neue Leber: Ich bin die Neue Leber. Oder eher: So nennen sie mich hier. (deutet auf ein Schild neben dem Krankenbett)
Fast wärst du zu spät gekommen.  

Daphy: Was heißt das.  

Neue Leber: Ich mein: Um mir noch zu begegnen.  

Daphy: Wie meinst du.  

Neue Leber: Das Koma.  

Daphy: Komm schon.  

Neue Leber: Nein. Wirklich. Hatte zuviel gesoffen. Schon wieder. Jetzt will meine Leber nicht mehr.  

Daphy: Komm. Koma. Ohne.  

Neue Leber: Bitte.  

Daphy: Schone mich.  

Neue Leber: Du bist komisch.  

Kurze Pause.

Dreimal wäre ich nicht mehr aufgewacht.  
Aber die Wärmeflasche. Die ließ sich so weich und schwabbelig gegen den Unterleib pressen. Da atmete was. Dass dann doch nur mein Bauch war. Aber egal. Vom Sterben hat sie mich abgehalten.

Daphy: Und wie heißt du.  

Neue Leber: Neue Leber.  

Pause.

Neue Leber: Du.  

Daphy: Daphy.  

Wieder Pause. Neue Leber hält Daphy eine Zigarette hin. Daphy raucht.

Daphy: Und sonst.  

Neue Leber: Ich weiß nicht. Fast hätte es mich schon nicht mehr gegeben. Da rupfte immer  
wieder so ein Atem an meinem Zwerchfell rum. Die gelben und pinken Blitze an der
Krankenhausdecke. Zuckten mir unter die Lider. Wieder und wieder. Wollten nicht, dass ich  
aufhör. Das Pochen an den Schläfen, das rief: Leber. Lebe.  

Daphy: Leber. Sehe. Verstehe.  

Neue Leber: Ach vergiss.  

Pause. Neue Leber zündet sich eine Zigarette an.

Neue Leber: Und du.  

Daphy: Nimm den Latz vom Mund.  

Neue Leber: Das ist ein Beatmungsgerät.  

Daphy: Von wegen.  

Neue Leber: Und du.  

Daphy: Das kannst du nicht verstehen.  

Neue Leber: Eben.  

Pause.

Stirbt sich ganz schön so ein Ersatztod. Oder.  

Raucht.

Daphy: Weiß. Scheiß. Fleisch.  

Neue Leber: Auch davon nicht viel. Deine Augenringe sind  
riesige Hängelappen im Gesicht. Du isst nicht.  

Daphy: Ich habs vergessen. Na und.  

Neue Leber zündet sich wieder eine Zigarette an. Raucht. Dämpft die Zigarette aus.

Neue Leber: Bist auch krank.  

Daphy: Hab die Rindensucht.  

Neue Leber: Was heißt das.  

Daphy: Ich weiß nicht.  

Neue Leber: Und du.

Daphy: Ich bin doch nur Körper. Na und. Auch das geht vorbei. Dann werd ich ein Baum sein. So: Selbstbestimmt. So: Wurzeltief. So: Kronenfrei. Und muss nicht mehr schaun.  

Neue Leber: Genau.  

Hustet röchelnd auf.

Daphy: Bald brauchst du eine neue Lunge.  

Neue Leber: Das wäre der Plan.  

Daphy: Lunge. Zunge. Schlund.  

Neue Leber: Ich will begreifen, wie weit der Körperschwulst sich treiben lässt.  
Weißt.
Was kommt rein, was kommt raus, was bleibt hängen da drin in den  
Eingeweiden, dem klebrigen ranzigen Scheißfleisch.  
Wie lang geht das noch weiter.  

Daphy: Warum.  

Neue Leber: Das Leben.  

Daphy: Versteh nicht.  

Neue Leber: Ich probiere es aus.  
Treibe es an die Spitze.  
Was erträgt das Körpergerät.   
Die Außenhaut hab ich mir zutätowieren lassen mit den Jahren. Zuerst waren die Nadelstiche  
kleine Orgasmen gegen meinen Selbsthass. Irgendwann fast alles mit Mustern zugepiekst.  
Bunt. Bis an den Arsch. Die Nippel. Die Klitoris. Nur das Gesicht wollte ich frei lassen.  
Weiß auch nicht warum. Da hat es angefangen, weh zu tun.  

Daphy: Tut. Gut. Mutig.  

Neue Leber: Ich wäre fast glücklich gewesen.  

Daphy: Und dann.  

Neue Leber: War das Außen schon zugerichtet. Da dachte ich: Ran an den Speck der inneren  
Organe.

Daphy: Organe. Orange.  

Neue Leber: Was.  

Daphy: Vergiss.  

Sie schaltet den Fernseher ein.

Terrorismus

Dogge als Reporter im Fernsehen: Terror. Tun wir als wärs Terrorismus. Wie entledigt man sich einer großen Masse an Menschen. Durch Angst. Oder auch: Man legt eine Bombe und schraubt dann bisschen an den Zahlen der Toten rum, so was geht ja leicht. Und die Zeitungen sind schöne Rahmen. Sie geben Sicherheit. Sie lassen sich halten. Das ist gut. Und man hat im  Rechteck ein Bild wie on TV. Man ist also im Bild. Und dass es Atombomben waren, davon wird da nix stehen. Das kannst du nicht sehen. Da suchst du vergeblich. So sorry.  
Neue Leber schaltet auf einen anderen Kanal um. Dogge spricht eine besonders kleine zierliche Motte von außen an. Die Motte stellt den Text dar, den Dogge spricht. Sie mimt eine Art “speechless terror”, den der Text der Dogge beschreibt. Ihr Körper zuckt auf, sie reißt die Augen auf, zittert. Daphy sieht die Motte an, ahmt ihre Bewegungen als eine Art Spiegelung nach.
  
Dogge spricht die Emotion der Solo-Motte: Körper neben Körpern. In Fetzen gerissen. In Stücke. Manche lebend. Manche tot. Sie starrt. Ihre Beine laufen von alleine umher. Die Gesichter der Menschen nur schwarze Löcher aus Ruß. Dass das von den Chemikalien in den Bomben käm. Sie gräbt in den Leichenbündeln umher. Kann niemanden erkennen. Die noch Lebenden auf die Schultern der Passanten der Rettungsmänner hieven. Oder aufs eigene Fahrrad. Die Körper ins Krankenhaus schieben. Die Drehbewegung der Speichen ist ein sicherer Rhythmus. Schnell gehen. Dass sie keine Zeit hat. Der ganze Rasen des Parks bedeckt mit Menschenbündeln. Menschenresten. Staksende Schritte.  

Daphy: Stolper nicht. Jetzt nicht.  

Dogge: Heftiges Hauchen. Atemenge. Etwas sprengt sie.  

Vogelmotte (solo): Kommt das aus mir.

Daphy: Schau da nicht hin, kleines Mottenmädel.  

Remote-Control (Empfängerin): Blut spenden.  

Drückt eine Spritze, die fast so groß ist wie sie selbst, in den linken Unterarm der Solo-Motte.

Dogge spricht die Emotion der Solo-Motte: Sie spürt die Nadel in der Ader nicht. Den anderen müsse geholfen werden. Sie ist eine Maschine. Hirn auf Hochtouren. Hat da was an ihrer Wahrnehmung rumgeschraubt. Nichts zu essen. Tagelang. Ihr purzeln fast die Augen aus dem Gesicht. Wenn sie schaut, hat sie einen Platz außerhalb von sich selbst eingenommen. Links neben dem Kiefer. Im Spital Berge aus Wasserflaschen. Bandagen. Sie wickelt sie um den Unterarm einer Frau, in dem ein Loch ist. Kann dabei hineingucken bis ins Adergeflecht. Was zu sagen wäre, fehlt. Atemenge. Hastig.  


  
Remote-Control (Empfängerin) bandagiert den ganzen Körper der Solo-Motte ein und drückt ihr mit den weißen Bandagen die Gurgel zu.

Remote-Control (Empfängerin): Ist doch alles in Ordnung, Masse.

Vogelmottenchor: Wir sind nur leer.
Ein leeres Mottenmehr.
Und wie gut diese Leere sich anfühlt.

Remote-Control (Empfängerin) hält Solo-Motte eine Zeitung vor das Gesicht. Solo-Motte macht Röchelgeräusche.

Dogge: In der Zeitung kann sie lesen: Zwei Tote. Weiß sie: Fünfzehn Tote waren es gestern, 57 schwer Verletzte, die sie in Stücke zerfetzt auf dem Rasen gesehen.

Remote-Control (Empfängerin): Filmriss.

Remote-Control (Empfängerin) reißt die Zeitung in der Mitte auseinander.
Vogelmottenchor: Und wir.
Flatterkinder.

Remote-Control (Empfängerin) flüstert der Solo-Motte eindringlich ins Ohr: Du hast die Katastrophe verinnerlicht.

Vogelmottenchor: Es war nachher.

Remote-Control (Empfängerin): War vorher, Masse. Die Ursache japst hinter der Wirkung drein.

Dogge enthusiastisch: And the skyline of the body is a battlefield.

Remote-Control (Empfängerin): Bist in der Folter, Masse. So geht das:

drückt auf die Fernbedienung.


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