6. Szene:
Trauma
Sohn Fawn kommt mit Daphy in einem Container heim. Er hievt sie hinaus und stellt sie in der Wohnung ab.
Die Motten sind stark abgemagert und flattern weniger einheitlich umher als zu Beginn. Ihre Menge hat sich stark reduziert. Die kleine weibliche Motte wird von Dogge beobachtet und ihr Innenleben kommentiert. Daphy versteht jetzt die Stimme der Motten.
Remote-Control (Empfängerin): Bist im Schock, Masse.
Dogge kommentiert die Emotion der Solo-Motte: Sie läuft umher gegen die Luft. Die Gegenstände schieben sich näher. Sehr nahe. War da was. Die Dichte des Momentes. Gegen den sie immer wieder anrennt. Wohin hat sich die Schönheit des Himmels verkrochen. Der Atem leer. Er löchert sie aus. In hastigen spuckenden Wellen. Dass da was war. Von dem nur mehr ein Stecken geblieben ist. Wie Stiche. Lassen die Lider aufzucken. Sie guckt da nicht hin. Sie rennt sich aus. Rennt sich aus sich heraus. Das ist gar nicht mehr nötig. Die Betäubung im Gesicht. Die Sekunden der Stille, die heranwachsen. Zu riesigen Knödeln aus Panik. Ist es kalt. Ist es heiß. Hastet sie umher. Nein. Die Beine sie gehen von selbst. Der Asphalt ist ein umgekehrter Himmel. Fiele sie jetzt. Fällt sie. Von weither sieht sie sich zu. Beim laut Lachen. Beim Aufglucksen. Die Schritte im Hamsterrad. Die Blitze im Hinterhirn. Nein, sie schaut nicht.
Daphy: Mottenmädel.
Schau da nicht hin.
Dogge kommentiert die Emotion der Solo- Motte: So verstreichen die Tage. Von der Erinnerung kann sie nichts wissen. Es gibt keine Zeit jetzt. Nein.
Pause.
Remote-Control (Empfängerin): Du hast Scham, Masse.
Vogelmottenchor: Was.
Daphy: Lasst sie los.
Das Flatterwesen.
Vogelmottenchor: Geh weg jetzt.
Mottenmund will grau und dunkel sein.
Will funkeln gegen die Ruhe der Nacht.
Daphy: Sie sind Flatterkinder.
Vogelmottenchor: Oder.
Pause.
Remote-Control (Empfängerin): Dann hast Angst, Masse.
Vogelmotte (solo)/ Daphy: Ich bin bei der Angst angekommen. Unerbittliches Abblättern des Ich. Jetzt schwappt es mich über. Die Gesichter der Menschen nicht ansehen können. Ihre Augen knöpfen mich auf. Sie häuten mich. Schlangenblicke. Kriechen mir unter die Pupillen. Plötzlich. Atemhemmung. Schlucklähmung. Kackattacken. Ist doch alles kein Problem. Warum zittert der Unterkiefer mir so. Bin das denn noch ich jetzt. Die Handteller schweißen, die kleben so fest aneinander. Das Pickige an den Fingern. Das Picken der Augen. Bitte schau nicht. Schau mich nicht an jetzt. Ich zerrinne. Die Hitze schießt mir ein in die Bäckchen. Dann Ameisenläufe aus den Fußsohlen raus. Ich beguck mich von außen. Ich fall jetzt. Die tanzenden Punkte. Der Glühwürmchenhimmel Kreislaufkollaps.
Vogelmotte (solo) von Daphys Mimik mitempfunden: Als ich aufwach, sind schwarze Löcher in der Luft.
Wollen sie Wasser.
Sind wir noch in der Wüste.
Von woanders rede ich zu mir her.
Pause.
Remote-Control (Empfängerin): Hast Trauer, Masse.
Vogelmottenchor ohne Solistin: Kommt in den Rändern nicht vor. Ist von jeher verschwunden. Fragt ja keiner.
Dogge: Sie weint. Nein.
Pause.
Remote-Control (Empfängerin): Dann Trauma.
Oder auch:
Wie entledigt man sich einer solchen Masse.
Eine Möglichkeit: Angst.
Die andre: Pack sie in Container, stell die Container in der Wüste auf. Kostet nicht viel. Menschenkörper reingepfercht einen nach dem andren. Ruck zuck, stell keine Fragen und Tür zu. Sie stehen so dicht, irgendwann können sie nicht mehr atmen, aber auch fallen können sie nirgendwohin. Praktisch. Aus Platzspargründen. So eine Wüste ist ja bekanntlich groß.
Vogelmotte (solo) von Daphy mitempfunden: Du hast mich in den Container. Die andren, die atmen so heftig. Dunkle feuchte Wangen. Ich kann nicht fallen. Aneinandergequetscht. Die Pfropfkörper.
Remote-Control (Empfängerin): Praktisch, sag ich.
Vogelmotte (solo)/ Daphy: Ich weine. Dann ist mein Herz zur Umarmung geworden.
Oder.
Pause.
Remote-Control (Empfängerin): Modern Day Cruzifiction.
Dogge/ Remote-Control (Empfängerin) nageln die Motte an Daphy: Das Öl kreuzigt dir die Flügel. Das Ersticken drückt dir gegen den Kropf. Wir züchten Bäume. Da nageln wir euch dran.
DIESER PLANET IST ÜBERBEVÖLKERT.
SAGT DIE QUEEN OF THE BIOMACHT.
DEREN MANIFESTATION.
WIR SIND.
ALSO: REDUZIEREN.
Vogelmottenchor: Und wir.
Remote-Control (Empfängerin): Ausgelöscht, Masse. Das geht so:
Drückt auf die Fernbedienung.
Zurück Zuhause
Sohn Fawn: Willkommen daheim, Schwester.
Nimmt eines der Blätter in die Hand und küsst es.
Vater Penei: Schöner Baum. Daphybaum. Müssen ihn gießen.
Mutter Medy: Zieh die Schlapfen an, Daphy.
Schiebt Daphy Wollschlapfen unter den Baumtopf.
Vater Penei: Ist sie hungrig.
Mutter Medy: Wie die Äste knicken.
Vater Penei: Als wären die Blätter kleine Nägelchen.
Mutter Medy: Wir sollten ihr das Rückgrat stützen. Dass sie nicht abbricht. Die gertenschlanke Birkentochter Daphy.
Vater Penei: Ach was.
Mutter Medy: Zu lange ist ihr Laubhaar. Wir sehen ja kaum noch ihr Gesicht.
Pause.
Und die Augen.
Ich finde ihre Borkenaugen nicht mehr in den Ritzen der Rinde.
Vater Penei: Entspann dich. Das ist doch nicht schlimm.
Sohn Fawn: Wo ist dein Ohr, Birkenschwester.
Ich bring dir eine Muschel aus Mexiko.
Die hat das ganze Meer in sich.
Da schläfst du besser. Die rauscht dich in die Müdigkeit
rein. Kannst du noch schlafen, Schwester.
Wie träumen Bäume.
Ich bring dir eine Schale gegen die Offenheit deiner Krone.
Ich bring dir eine Schutzschicht aus Calium Carbonicum.
Die kannst dir über die Ohren stülpen als wär nix. Weißt.
Wie die Austern.
Mutter Medy: Sie sieht blass aus.
Sohn Fawn: Alle Birken sind weiß.
Vater Penei zum Sohn Fawn: Lass uns Fußball spielen.
Sohn Fawn: Vergiss es.
Vater Penei: Doch. Ich bin ein Optimist.
Mutter Medy: Iss Butter.
Daphy: Butter. Mutter. Guter.
Vater Penei: Gertenschlank die Form des Baumes. Traumbaum.
Mutter Medy: Du musst essen, Daphy.
Vater Penei: Die Haare stehn dir so nicht. Die Fingerzweige knicken zu stark.
Mutter Medy: Noch ein Gießkannenschub Kaffee, meine Schöne.
Sohn Fawn: Sie trinkt keinen Kaffee mehr.
Mutter Medy: Lebt sie gesund.
Sohn Fawn: Wasser, Luft und Liebe.
Daphy: Liebe. Läuse. Mäuse. Aus.
Mutter Medy: Was verstehst du davon.
Sohn Fawn: Mineralien, dass die Füße besser Wurzeln schlagen.
Vater Penei: Hauptsache keine Läuse. Oder.
Mutter Medy: Kämm dir die Blatthaare nach hinten. Es passt dir nicht, wenn die Strähnen so nach vorne rieseln. Sieht ja keiner die Feinheit deiner Rinde.
Sohn Fawn: Der Krieg kommt. Karzinome. Soft kills. Modern day Cruzifiction.
Mutter Medy: Ich bin eine Frau. Ich versteh nichts davon.
Sohn Fawn: Wir sind kein legaler Staat mehr. Alles Kasperletheater.
Vater Penei zu Fawn: Hast keine Ahnung von harter Arbeit.
Mutter Medy: Wie schlau ihr euch unterhalten könnt.
Nicht wahr, Daphy.
Pause.
Ja.
Vater Penei: Wie ihre Blätter im Wind glitzern. Goldig grünes Haar.
Mutter Medy: Iss. Die Schlapfen sind warm.
Sohn Fawn: Dieses Land ist wie der Vatikan. Ist sein eigener Staat.
Mutter Medy zu Daphy: Was sagst du dazu.
Sohn Fawn: Sie ist auf meiner Seite. Wir leben in Zeiten des vorgespielten Terrorismus.
Vater Penei: Kümmere dich um deinen Scheiß.
Daphy: Scheiß. Weise. Fleisch.
Sohn Fawn: Es gibt nur noch zwei Wege. Sterben oder kämpfen. Zu Daphy Stimmts.
Pause.
Sohn Fawn: Sie setzen uns Mikrowellen aus. Wir werden kontrolliert. Wer berichtet darüber. Konzentrationslager werden sie bauen. Oder.
Daphy: And the skyline of the body is a battlefield.
Pause. Keine Reaktion.
Kannst du mich hören, Bruder.
Mutter Medy: Sie raschelt.
Vater Penei: Ach was.
Mutter Medy: Das war der angenehme Teil des Abendessens.
Pause. Mutter Medy greift nach der Hacke.
Mutter Medy reicht Papa Penei die Hacke: Mach du das.
Ich kann nicht.
Vater Penei: Ein Baum hat keine Adern.
Keine Blutgefäße.
Seine Haut macht nicht ach, da kannst noch soviel hacken und nageln.
Also: Ab der Ast.
Er hackt heftig zu, Mutter Medy sieht weg. Sohn Fawn steht auf und blickt ihn geschockt an. Die Vogelmotte (solo) krümmt sich und gibt einen leichten Quietscher von sich.
Sohn Fawn: Gerade hat sie noch gesprochen.
Daphy: Mach dir keinen Kopf, kleiner Bruder.
Ich bin noch immer anderswo.
murmelnd
Bruder. Guter. Butter.
Sohn Fawn: Hört ihr.
Mutter Medy: Die Blätter plappern ein wenig im Wind. Wer hat denn das Fenster
gekippt.
Vater Penei: Du warst es.
Mutter Medy steht auf und schließt das Fenster.
Mutter Medy: Dass die Motten nicht noch mehr werden.
Daphy: Motten. Hotten. Toten.
Pause.
Mutter Medy: Oder.